Charakterstärke – FC Augsburg – 1. FC Nürnberg 1:2 (1:1)
Im Fußball wird (zu) oft und (zu) schnell die Frage nach dem Charakter gestellt. Den Charakter eines Spielers oder auch einer Mannschaft stellen Medien, Fans und Umfeld gerne in Frage, wenn die Ergebnisse nicht so sind, wie sie sein sollten oder wie man sie erwartet hat. Geht es umgekehrt um Charakterstärke tut sich der geneigte Fußballfan oft schwerer, schließlich ist – nicht erst seit Nick Hornby – der Grundzustand des Anhängers Enttäuschung, bittere Enttäuschung. Ein Gefühl das bestätigt wird, wenn der Torwart der eigenen Mannschaft sich den Ball selbst ins Tor legt. Daran, dass die eigene Mannschaft sich von diesem Schock erholen kann, glaubt man nicht. Tut sie es doch – wie der FCN am Freitag in Augsburg – dann muss man, ob man will oder nicht – von Charakterstärke sprechen.
Charakterstärke deshalb, weil die Mannschaft zweifachem Druck standhielt. Dem Druck, der bereits vor dem Spiel auf sie einwirkte, da das Spiel auf übertriebene Weise zum Endspiel hochstilisiert worden war; zum Endspiel um die Frage: Sofortiger Klassenerhalt oder Abstiegskampf bis zum Schluss. Aber auch dem Druck, der durch das kuriose Eigentor von Raphael Schäfer entstanden war. Bis dahin hatte der FCN die Gastgeber aus Augsburg schließlich eindrucksvoll in Schach gehalten. Der Druck auf die Mannschaft nun das Spiel nicht aus der Hand geben zu dürfen, den Gegner trotz des unnötigen Gegentors nicht ins Spiel kommen zu lassen, war immens.
Sie hielt ihm stand. Sie hielt ihm stand, weil sie sich bis ins letzte Detail an die taktischen Anweisungen des Trainerteams hielt, die trotz allem – auch hier – geäußerten Missmut an ihrer Defensivlinie festhielten, diese sogar noch verstärkten. Verstärkten, indem sie Timothy Chandler zwar nach abgeleisteter Gelbsperre in die Mannschaft zurückbeorderten, ihn aber nicht als Rechtsverteidiger aufstellten, sondern dort Hanno Balitsch beließen. Sie trauten dem 32-Jährigen zu Recht zu, dass er defensiv nichts anbrennen ließ. Chandler sollte stattdessen anstelle von Mike Frantz im Mittelfeld agieren und seine Schnelligkeit ausspielen.
Ihm gelang das kaum, seinem Gegenpart auf links, Alexander Esswein dagegen sehr. Der viel gescholtene 22-Jährige setzte die schon gegen Freiburg gezeigten Ansätze in Sachen offensives Tempo weiter fort, bereitete dank seines Tempos ein Tor vor und erzielte dank seiner Schusskraft ein Tor selbst. Zusammen mit Hiroshi Kiyotake, der das 1:0 auf Essweins Pass hin erzielen konnte und das 2:1 mit seinem nur durch ein Foul zu beendendes Solo einleitete, war der U-21-Nationalspieler der Lichtblick einer Offensive, die immer noch Platz zur Verbesserung bietet. Mit etwas mehr Konzentration im Passspiel hätte der FCN vor allem in der zweiten Halbzeit noch einige gefährliche Konter fahren können.
Dass dies nicht nötig war, um zu gewinnen, lag an der wohlgeordneten Defensivarbeit, die alle Mannschaftsteile umfasste. Schon die Offensivspieler stellten die – zum Teil für den Augsburger Spielaufbau zuständigen – Außenverteidiger zu, versuchten sie an geordneten Pässen zu hindern. Schnell musste sich der FC Augsburg darauf verlegen die Bälle hoch und weit diagonal hinter die Abwehrreihen des FCN zu schlagen. Dies misslang auf Grund der steten Wachsamkeit der Nürnberger Defensive. Diese war selbst nach dem Schock des Slapstick-Gegentors noch gegeben, auch ein Indiz für die charakterliche Festigkeit des Teams.
Des Teams, das mit 2:1 vom Freitagabend nun mehr oder minder neun Spiele Zeit zum Schaulaufen hat: Der FC Augsburg wird die zehn Punkte Differenz zum FCN nicht mehr wettmachen. Nicht, wenn sechs der neun ausstehenden Spiele gegen Mannschaften aus der oberen Tabellenhälfte stattfinden. Der FCN wird seinerseits auch die – je nach Spieltagverlauf sechs oder sieben Punkte – nach oben nicht mehr aufholen, um noch ins Rennen um die Europa League eingreifen zu können. Es wird um wenig gehen in der Endphase der Saison. Auch das ist ein Test der Charakterstärke. Oder ist das überinterpretiert?