Willen, Kraft und Fähigkeit – 1. FC Nürnberg – VfB Stuttgart 2:1 (1:0)
Bei der Bewertung von Fußballspielen liegen bisweilen Welten zwischen den Berichterstattern. Geschuldet mag dies womöglich auch der Kompetenz sein, wahrscheinlich aber vor allem dem Blickwinkel. Der Sieg des FCN am Mittwochabend gegen den VfB Stuttgart war für den Fan eine nervliche Achterbahn mit orgiastischem Schlusspunkt, für den Fußballästheten dagegen ein optisches Grauen. Allen Beteiligten auf Seiten des FCN dürfte jene Einschätzung natürlich zurecht völlig egal sein, da am Ende – ganz am Ende – des Spiels der erste Saisonsieg zu Buche stand.
Nüchtern betrachtet gab es tatsächlich wenig fußballerische Feinkost in einem harten, bissigen Kampf, der phasenweise sogar auszuarten drohte. Es grenzte in einem Spiel dieser Intensität an ein Wunder, dass am Ende mit Andy Wolf nur ein Akteur vorzeitig vom Feld geschickt wurde. Hätte Schiedsrichter Drees früher mit dem Kartenverteilen begonnen und sich nicht 26 Minuten gefreut, dass es nicht regnet, das Spiel hätte womöglich eine andere Wendung genommen. So antworteten die Stuttgarter auf das stark körperbetonte Spiel des FCN mit eigener Härte.
An jener Härte, die eine Konstante im Spiel des Glubb zu werden scheint, lässt sich jedoch anschaulich die Wandlung des FCN unter Dieter Hecking darlegen. Wurde unter beiden Vorgängern sich meist weggeduckt und das körperliche Spiel gescheut, nimmt die Mannschaft nun den Kampf an und trägt ihn in Richtung des Gegners. Der Eindruck, den dies nach außen vermittelt ist daher äußerst positiv. Man sieht der Mannschaft Kampfbereitschaft und Einsatzwillen nun an. Dies honorieren auch die Zuschauer.
Sichtbarster Ausdruck des Kampfwillens und des „Niemals-Aufgebens“ war Javier Pinolas Siegtreffer in der 90. Minute. Herrlich freigespielt von Julian Schieber, der seinen Körper stets in den Dienste der Mannschaft stellte, hatte der Argentinier trotz späten Ausgleichs, neunzig Minuten vollem Einsatz und Unterzahl noch Willen, Kraft und Fähigkeit seinen Sololauf mit einem Tor zu vollenden. Auch, dass der Glubb nach dem Ausgleich nicht einbrach, sondern im Gegenteil zurückkam – und sogar noch ein drittes Tor hätte anhängen können – zeigt eine Weiterentwicklung der Mannschaft. Noch zu Saisonbeginn, ganz zu Schweigen von Vorjahren, verlor das Team nach einem Gegentor den Faden. Sie ließ sich auch nicht davon beirren und aus dem Tritt bringen, dass die Gäste mit ihrem einzigen kontrollierten, flüssigen, heraus gespielten Angriff zum Torerfolg kamen.
Dass die Stuttgarter so wenig brauchbares aufs Feld brachten lag an der erneut äußerst kompakten und sicher stehenden Defensivreihe des FCN. Diese kombinierte eine Verengung des Angriffsfelds der Schwaben im letzten Viertel mit geschickten und vorzüglichen Tacklings und einer Prise Robustheit. Gegen diese Mischung fand Stuttgart zu keinem Zeitpunkt ein Mittel. Natürlich spielte es da dem FCN in die Karten, dass er sich schon ab der dritten Minute aufs Verteidigen und Räume eng machen beschränken konnte, da Julian Schieber bereits nach 165 Sekunden getroffen hatte.
So kamen die Schwaben nur bei Standards zu Chancen. Bei diesen war das Glück dann – endlich einmal, mag der geneigten Glubb-Fan sagen – auf Seiten der Nürnberger. Einmal prallte Bokas Freistoß an die Latte und dann von Schäfers Schulter ins Aus statt ins Tor, ein anderes Mal sah der Linienrichter ein Foul von Progrebnyak, das nicht jeder Schiedsrichter-Assistent anzeigt. Auf der Gegenseite hätten sich die Stuttgarter auch nicht beschweren dürfen, wenn Kuzmanovic‘ Schlag in Richtung Hegelers Gesicht geahndet worden wäre.
Wer weiß allerdings, ob der FCN dann eine derart kämpferische Leistung zustande gebracht hätte, die zwar im Vorwärtsspiel immer noch von Ungenauigkeiten im Abspiel getrübt wurde, die aber an sich sehr viel Hoffnung macht. Hoffnung, weil Javier Pinola das Toreschießen entdeckt hat (mehr als ein Saisontor hatte er noch nie); Hoffnung, weil Julian Schieber angekommen scheint; Hoffnung, weil das auch für Timmy Simons gilt; Hoffnung, weil Dieter Heckings Kampffußball dem FCN zu liegen scheint; Hoffnung, weil es sicher schlechtere Mannschaften in dieser Liga gibt – egal welche Betrachtungsweise man hat.